Familienleben
Das Marienleben: V. Die Geburt Mariens, genannt „Die Wochenstube“
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Albrecht Dürer: Das Marienleben: V. Die Geburt Mariens, genannt „Die Wochenstube“, Monogramm, um 1503
Holzschnitt auf Papier, 29,6 (links) bis 29,7 x 21,9 (unten) / 21,1 (oben) cm Blattmaß, Wasserzeichen Meder 62: Ochsenkopf. Mit 1mm breitem Rand ringsum. Stempel, verso, in der Mitte (Sammlungs- und Veräußerungsstempel der kgl. bayr. graph. Sammlung München), Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg.
Ehefrau, Hausfrau und Mutter – die Rolle der Frau ist vielfältig. Im Wandel der Zeit veränderte sich die Position der Frau von der fürsorgenden Mutter bis hin zur toughen Geschäftsfrau. Dürer greift das Thema der Frau in Bezug zu Familie, Beruf und Haushalt auf. In seinem Holzschnitt betont er die Wichtigkeit der Geburt, indem er das Handwerk der Hebamme klar herausstellt. Die Mariengeburt wird also nicht nur zur reinen religiösen Szene, sondern zeigt auch, wie wichtig die Tätigkeit der Hebamme in jener Zeit war. Der heldinnenhafte Dienst wurde zu einem eigenständigen Beruf. Insbesondere in Nürnberg, der Geburtsstadt Dürers, hatten Hebammen im 15. Jh. großes Ansehen erlangt.
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die Geburt Mariens, genannt „die Wochenstube“ von Albrecht Dürer. Das Werk ist in der Technik des Holzschnitts auf Papier ausgeführt und wird um 1503 datiert. Der Holzschnitt wird dem Hochdruckverfahren zugeordnet und ist somit eine der traditionsreichsten unter den druckgraphischen Techniken. Der Druck ist ein Hochformat und misst 29,6 cm (links) bis 29,7 x 21,9 cm (unten) bezogen auf das Blattmaß. Ein 1 mm breites Rändchen umrandet den Holzschnitt. Der Druck verfügt über ein Wasserzeichen (Meder 62: Ochsenkopf), was auf die Marke des Papierherstellers deutet. Zusätzlich besitzt der Holzschnitt einen Sammlungs- und Veräußerungsstempel der königlich bayrischen graphischen Sammlung München sowie einen weiteren Stempel rückseitig. Das Monogramm Dürers befindet sich am unteren Rand des Druckes, leicht rechts ausgehend von der Mittelachse.
Die Geburt Mariens ist ein Werk aus Dürers Bilderzyklus des Marienlebens. Das illustrierte Buch besteht aus 19 Graphiken und einem Titelblatt. Dabei schuf Dürer einen neuen Typus des Andachtsbuches, da er Bild und Text miteinander vereinte. Erstmals wurde der Zyklus 1511 mit lateinischen Versen des Nürnberger Benediktermönches Chelidonius herausgegeben. Bis zur Herausgabe der gesamten Holzschnittfolge machte Dürer nur einige Erstdrucke. Die Drucke der Folge werden dem Zustand der Stöcke nach als hochwertig gesehen (vgl. SMS 2009, S. 6-9.)
Der Holzschnitt zeigt ein geschäftiges Treiben in einer Wochenstube. Von links wird der Blick über mehrere weibliche Figurengruppen nach rechts hinten zu einem Wochenbett geführt. Darin ist in sitzender Haltung die heilige Anna nach ihrer Entbindung abgebildet. Diese ist sichtlich erschöpft. Daneben reichen ihr zwei Frauen Speisen und Getränke. Vor dem Bett ist eine Helferin erschöpft in den Schlaf gesunken und lehnt sich mit Kopf und Arm an die Bettkante. Oberhalb der Szenerie kräuselt sich ein Wolkenvorhang herab. Auf dem Wolkensaum schwingt ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln und gebauschtem Gewand ein Weihrauchfass (Vgl. SMS 2009, S. 32).
Im unteren Teil des Holzschnittes geht es indessen irdisch zu. Rechts der Mittelachse ist eine Gruppe von fünf Frauen zu sehen, die sich um einen Tisch gesellen. Die im Vordergrund sitzende Hebamme hält in ihren Armen die neugeborene Maria. Diese hat für das Kind ein Bad in einem Zuber vorbereitet. Die anderen Frauen stärken sich nach den Anstrengungen der Geburt. Links neben der Mittelachse ist eine Frauengruppe und ein Kleinkind zu sehen. Diese stärken sich ebenfalls nach der Geburt (vgl. SMS 2009, S. 32).
Die Raumanlage erstreckt sich im Hintergrund nach des Nürnberger Großbürgertums. Die Frauen tragen zeitgenössische Kleidung. An der linken Seite der Bürgerstube lassen sich Türen, Fenster und eine Treppe erkennen.Handwaschbecken, Handtuch, Besen und ein Wandbord mit Utensilien unterstreichen den Charakter der Wochenstube (Vgl. Zeise 1966, S. 5).
Die Graphik wird durch eine Mittelsenkrechte und eine waagrechte Linie im oberen Bildbereich geteilt. Außerdem ergibt sich von links unten eine nach rechts oben kreisrunde Bewegung. Durch den verzierten Torbogen im oberen Bereich wird die kreisförmige Bewegungsrichtung hervorgehoben. Die waagrechte Linie betont den Kontrast zwischen himmlischer Sphäre und irdischem Leben. Gleichzeitig wird durch den in der Mitte nach unten schwebenden Engel eine Verbindung zwischen Himmel und Erde geschaffen.
Die im Bildraum links schräg angesetzte Treppe bringt eine Diagonale ins Bild. Die Treppe weist in der Verlängerung auf die Neugeborene Maria hin. Eine weitere Diagonale wird durch eine trinkende Hebamme geschaffen, die ihr Trinkgefäß schräg zu sich führt und auf die heilige Anna in ihrem Wochenbett hinweist. Im Kontrast dazu wird durch die zweite angedeutete Diagonale ein Ausgleich geschaffen. Darüber hinaus wird das Bildthema der Mariengeburt nochmals hervorgehoben.
In der christlichen Ikonographie ist die Geburt Mariens ein beliebtes Motiv als Einzeldarstellung, vor allem aber als Teil von Zyklen des Marienlebens.
Die Geschichte des Marienlebens wurde schnell in kompositioneller und ikonographischer Hinsicht eine beliebte Quelle, aus der Künstler in Italien und kurz darauf in ganz Europa Anregungen schöpften.
Besonders in der deutschen Buchillustration vor und um 1500 wird die Lebensgeschichte der Gottesmutter immer häufiger dargestellt.
Bereits 1496 hatte sich Dürer mit Themen aus dem Leben der Gottesmutter und zur Kindheits- und Jugendgeschichte Jesu beschäftigt (Vgl. Schoch/Mende/Scherbaum 2002, S. 236).
Der ikonographischen Tradition entsprechend bildete Dürer die Mariengeburt in einer typischen Darstellungsweise ab. Das weltliche Treiben der Frauen in der Wochenstube und die großzügige Anlage des im Geschmack des zeitgenössischen Nürnberger Großbürgertums eingerichteten Gemachs stellten hingegen Neuerungen dar.
Dürer nahm jedoch einige wesentliche Veränderungen der vorherigen Bildidee vor, bevor er den endgültigen Holzschnitt ausführte. Dabei vermehrte er die Anzahl der weiblichen Figuren und öffnete den Bildraum nach oben hin für die schwebende Engelserscheinung (Vgl. Schoch/Mende/Scherbaum 2002, S. 234).
Für die Geburtendarstellung im „Marienleben“ hat Dürer auf verschiedene bildnerische Vorbilder zurückgegriffen.
Beispielsweise die fränkische Geburtsdarstellung des Peringsdörfer-Altars der Wolgemut-Werkstatt für die Kirche der Augustiner-Eremiten in Nürnberg.
Die Badeszene ist in den Vordergrund gerückt und das Bett der heiligen Anna ist schräg in den Bildraum platziert. Diese Idee basierte auf Schongauers epochemachendem Kupferstich des Marientodes (Vgl. Schoch/Mende/Scherbaum 2002, S. 235).
Eine weitere ähnliche Darstellung der Geburtenszene ist das Fresko Die Geburt Mariä von Domenico Ghirlandaio.
Im Vordergrund ist die Badeszene zu sehen. Zudem ist direkt hinter der Badeszene die heilige Anna in ihrem Wochenbett abgebildet.
Auf der linken Seite gesellt sich eine Frauengruppe hinzu und beobachtet das Geschehen. Im Hintergrund wird durch eine Treppe und einem geöffneten Torbogen der Raum ersichtlich.
Jedoch spielt sich die Szenerie nicht in einer bürgerlichen Stube ab, sondern in einem Haus im florentinischen Stil, wie es zu dieser Zeit üblich war.
Werke über die Geburt Mariens enthalten oft genreartige Elemente. Dabei geben die Elemente Aufschluss über Geburtshilfe und Gebräuche rund um die Geburt der jeweiligen Entstehungszeit.
Dürer versetzte Gestalt und Ereignisse in eine gewöhnliche Welt, mit der sich bürgerliche Betrachter identifizieren können.
Die Darstellung von Mutter und Kind beschränkt sich seit der Renaissance nicht mehr nur auf die christliche Ikonographie, sondern dient nun auch für weltliche Themen als kompositorische Vorlage (Vgl. Schoch/Mende/Scherbaum 2002, S. 218).
Das traditionelle Frauenbild wurde in den Bereich des Privaten, der Familie und des Haushalt zugeordnet. Dabei wurde der Bereich der Familie in der Sozialgeschichte als Privat eingestuft. Das Familienleben wird gleichgesetzt mit dem weiblichen Geschlecht und dem häuslichen Leben. Im Gegensatz dazu wird die Arbeitswelt dem männlichen Geschlecht zugeschrieben (Vgl. Opitz 2005, S. 171-172).
In Dürers Mariengeburt sticht die Wichtigkeit des hausfrauenspezifischen Berufes der Hebamme hervor. Bis in das 19. Jh. war es Pflicht der Nachbarinnen, einer Schwangeren beizustehen. In großen Städten begann ab dem späten Mittelalter die Tätigkeit der Hebamme sich als professioneller Beruf zu etablieren. Vor allem waren die Nürnberger Hebammen im 15. und 16. Jh. für ihre professionelle Arbeit bekannt. Seit dem 15. Jh. tritt die qualifizierte Arbeit der Frauen als Hebammen professionell hervor (Vgl. Wunder 1992, S. 139-143).
Dürer bleibt der traditionellen Darstellungsweise treu und bildet nur weibliche Geburtenhelferinnen ab. Im Gegensatz dazu bricht Albrecht Altdorfer die Bildtradition seiner Mariengeburt auf und platziert einen Mann im Bildgeschehen.
Das intime Geschehen einer Geburt wurde ab dem 14. Jh. von vielen Künstlern veröffentlicht. Dabei ist die Privatsphäre der Frau in den Hintergrund gerückt und wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Dürers Werk kann im Sinne der jungen Renaissance als eines der Modernsten angesehen werden. Helle und dunkle Partien verleihen der Szene Realismus. Vorbild für den architektonischen Rahmen und die klaren Positionen und Perspektiven der Figuren waren italienische Künstler. Der ganze Holzschnitt wird durch einen heiteren Ton bestimmt. Das bunte Treiben in der Wochenstube wird durch die förmliche Ordnung durch den schwebenden Engel bestimmt. Das Zusammenspiel von Himmel und Erde und der gleichzeitig menschlichen wie göttlichen Maria geht konform mit der Mariologie der Zeit (vgl. SMS 2009, S. 6-10).
Scherbaum, Anna/Schoch, Rainer: Albrecht Dürer. Marienleben. München 2009.
Zeise, Erika: Albrecht Dürer. Marienleben. München 1966.
Opitz, Claudia: Um-Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte.Tübingen 2005.
Wunder, Heide: „Er ist die Sonn´, sie ist der Mond“. München 1992.
Schoch, Rainer/Mende, Matthias/ Scherbaum, Anna (Hg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München – Berlin – London 2002.
Autorin: Claudia Myslinski