2011 – Mantua
Mantua 2011
Nur acht Busstunden von Erlangen entfernt liegt das verträumte lombardische Städtchen Mantua, das elf Studierende der Kunstgeschichte auf einer sechstägigen Exkursion unter der Leitung von Herrn Möseneder und in Begleitung von Frau Keller und Frau Wattolik kennenlernen durften.
Bereits bei der Ankunft begrüßte uns die Stadt, die von drei Seen umgeben ist, mit einer malerischen Ansicht, die von einem wehrhaften Kastell vom Ende des 14. Jhs. dominiert wird. Ehemals zwar ein blühendes Herzogtum, ist jedoch nach Verkäufen bedeutender Teile der Gonzaga-Kunstsammlungen im 17. Jh. und dem Sacco di Mantua im Jahr 1630 durch die kaiserlich-österreichischen Truppen nur noch wenig von seinem damaligen Glanz erhalten. Trotzdem zeugen noch heute Kunst- und Bauwerke von Künstlern wie Leon Battista Alberti (1404–1472), Andrea Mantegna (1431–1506) und Giulio Romano (1499–1546) von der einstigen kulturellen Bedeutsamkeit Mantuas.
Dass solch berühmte Künstler im eigentlich eher provinziellen Mantua tätig waren, ist dem kunstliebenden Geschlecht der Gonzaga zu verdanken, die über vier Jahrhunderte hinweg Mantua regierten – zuerst als Capitani del Popolo, dann als Markgrafen und schließlich gar als Herzöge. Durch geschicktes Taktieren gelang es ihnen, das von den mächtigen Stadtstaaten Mailand und Venedig, sowie dem Herzogtum Umbrien eingezwängte Städtchen aus seiner relativen politischen Bedeutungslosigkeit zu befreien. Die wirtschaftlich ungünstige Lage in einem ressourcenarmen, ungesunden Sumpfgebiet, der zu vernachlässigende Einfluss von Zünften und das fehlende Bankenwesen machten Mantua – ganz im Unterschied zu Florenz beispielsweise, der Handels- und Kulturmetropole des 14. bis 15. Jahrhunderts – zu keinem beliebten Ort für Händler und Künstler. Dies kompensierten die Gonzaga, indem sie Hofkünstler an sich banden, welche sich in den Städten Rom und Florenz bereits einen Namen gemacht hatten. Die angenehme Stellung als Hofkünstler brachte auf der einen Seite viele Vorzüge mit sich, wie die Unabhängigkeit von Zunftvorschriften oder künstlerischem Konkurrenzkampf, die Anerkennung als Höflinge und das Privileg, für sich selbst individuelle Künstlerhäuser zu errichten, von denen wir zwei, die Casa Mantegna und die Casa Romano, besichtigt haben. Auf der anderen Seite waren die Maler und Architekten, die dem Ruf der Gonzaga gefolgt waren, der Pflicht unterworfen, die Herrschaftsansprüche ihrer Mäzene in Kunstwerken umzusetzen, was wir vor allem in der malerischen Ausgestaltung des Palazzo Ducale vor Augen geführt bekamen, wo sich am deutlichsten die enge Verflechtung von politischer Macht und visueller Repräsentation zeigt.
Der heterogene Baukomplex überspannt in seinen vielen Bauabschnitten über 400 Jahre Architekturgeschichte. Jeder neue Gonzagaherrscher versuchte durch innovative Umbauten den Vorgänger zu übertreffen. Letzten Endes entstand ein riesiges Konglomerat an Gebäuden und Räumen, das noch verwirrender als der Kaninchenbau bei Alice im Wunderland sei, wie zumindest Frederick Hartt es formuliert. Einer der ältesten Palastteile, das Castell San Giorgio, birgt eine Ikone der Kunstgeschichte: die Camera degli Sposi. In dem von Andrea Mantegna freskierten Raum (1474 vollendet) erwartete uns an der Decke ein illusionistischer Ausblick in den Himmel, welcher der erste seiner Art in der Kunstgeschichte ist. Der Betrachter wird seinerseits von höfischem Personal, das sich über eine Ringbalustrade herabbeugt und von Putti in starker perspektivischer Verkürzung und beinahe unanständiger Unteransicht angeblickt. An der Wand sind die verschiedenen Mitglieder der Gonzagafamilie in realiter dargestellt, treten mit dem Betrachter jedoch nicht in Blickkontakt.
Neben versteckten Gärten, Paradehöfen für die berühmte Pferdezucht der Familie und unzähligen Korridoren, Loggien und Galerien wird man in der Ausstattung mit dem Prinzip „literatura et arma“ konfrontiert. Wie ein roter Faden zieht sich das Verhältnis von Kampfkunst und das Wissen um aktuelle Literatur durch die Dynastie. Das früheste Beispiel begegnete uns in der Sala del Pisanello (1436–1442). In einem großen Saal überziehen die Reste eines Freskos des Künstlers Antonio da Pisano die Wände mit Szenen aus der zu jener Zeit in Italien beliebten Artuslegende.
Die Gonzaga verstanden es schon früh, das Wissen um Kunst und Kultur und deren Förderung für sich zu nutzen, um eine Daseinsberechtigung unter den anderen Herrscherfamilien Italiens zu generieren. Hiervon zeugen auch die von Giulio Romano konzipierten Apartimento di Troia, in welchen er den Gonzagafürst Federigo II. als vom Schicksal erwählten Kriegshelden und guten Hofmann, frei nach Il Cortegiano von Baldassare Castiglione, präsentiert.
Neben der malerischen Ausgestaltung der Gonzaga-Paläste beschäftigte uns auf unserer Exkursion vor allem auch die Renaissance-Architektur in Mantua. Fernab der führenden Kunstzentren der Renaissance war es hier möglich, dass sich beinahe zeitgleich zwei unterschiedliche Architekturauffassungen entwickeln konnten. Auf der einen Seite steht jene von Leon Battista Alberti, einem uomo universale, welcher ab 1459 in Mantua tätig war. Die Kirchen Sant‘ Andrea und San Sebastiano verkörpern jeweils für sich Albertis Traktate über die Architektur und die Stadt in Anlehnung an Vitruv. Bei Sant‘ Andrea stellten wir eine Tempelfront in Kombination mit einem Triumphbogenmotiv als Kirchenfassade fest. Eine solche Lösung taucht dort zum ersten Mal auf, wobei dieses Motiv zunächst noch keine direkte Nachahmung ist. Es avanciert schließlich vor allem durch die Harmonisierung der beiden Bauformen durch Palladio zur Idealform der Kirchenfassade. Der von außen eher unscheinbare Bau von San Sebastiano überwältigt im Innenraum dafür umso mehr. Mit einem Griechischen Kreuz als Grundriss und stark verkürzten Kreuzarmen, wird der Zentralbau im Innern für die menschliche Wahrnehmung nicht mehr messbar. Die mächtigen, ungegliederten Mauern erscheinen inkommensurabel und lassen erkennen, dass der Mensch hier nicht mehr das Maß der Architektur ist.
Diametral zu Albertis klassisch-kanonischer Auffassung von Architektur stehen in Mantua, Capricci gleich, die architektonischen Bocksprünge Giulio Romanos. Da rutschen Keilsteine aus den Fenstersimsen, Giebel klaffen auseinander, das Prinzip von Tragen und Lasten und das angemessene Dekorum werden voll und ganz negiert. Diesen manierierten Umgang fanden wir besonders bei den Fassaden des Palazzo Te wieder. Aufgrund der Konzeption als villa suburbana, greift Romano Elemente des „Natürlichen“, wie die starke Rustikabossierung sowie infinito-Elemente auf, um sie dann aber mit filigransten Stuckornamenten zu kontrastieren.
Die häufige und vielfältige Verwendung von Stuck bei der Gestaltung von Fassaden, erkannten wir im Übrigen als Besonderheit Mantuas. Da das in Sumpfland gelegene Mantua über keine nennenswerten Steinvorkommen verfügt, mussten die Baumeister und Architekten aus diesem Nachteil eine Tugend machen, sodass die allermeisten Bauwerke aus Ziegelstein gefertigt sind und die Fassaden lediglich mittels Stuckputz den Anschein von Mauerwerk erwecken können. Die Fassade konnte dabei modelliert werden wie in nassem Ton. Gian Battista Bertani nutzte diese Möglichkeit für eine ganz eigene, schon ironische Interpretation der Rustika, und schuf die Fassade der Casa Canossa, welche wohl – einzigartig in der Kunstgeschichte – nie in einem Überblickswerk abgebildet werden würde.
Einzigartig ist wohl auch das Ausstattungsprogramm des Palazzo Te, was auch durch dessen inoffiziellen Charakter bedingt ist. Besonders beeindruckte uns hier die Sala dei Giganti, welche als Flüsterraum entworfen einen synästhetischen Eindruck erzeugt und von der menschlichen Wahrnehmung nicht komplett erfasst werden kann.
Der Tagesausflug nach Parma war von Romanik und Correggio dominiert. Den langen Streit in der Kunstgeschichte über den Ursprung der Zwerggalerie wollen wir hier nicht wieder aufflammen lassen, denn klären konnten wir ihn vor Ort auch nicht. Imposant war der Blick in die Domkuppel mit einem Fresko von Correggio (1526–30), welches die Himmelfahrt Mariens darstellt. Direkt vor Ort zu sein, ermöglichte uns außerdem das direkte Vergleichsbeispiel desselben Künstlers vor Augen zu haben. Die Kuppel der Kirche San Giovanni Evangelista steht direkt hinter dem Dom und stellt einen Vorgänger für die Domkuppel dar. Vergleichende Kunstgeschichte vor Ort.
Nicht vernachlässigen wollen wir, dass es in Mantua und der Umgebung nicht nur die Meilensteine der Kunstgeschichte, sondern noch diverse Kuriositäten gibt, auf welche man im Studium nur zu selten trifft. Da ist vor allem eine Kirche in dem kleinen Ort Santa Maria delle Grazie zu erwähnen, wo eine ephemere Holzverkleidung vor die Wände gelegt wurde, um den römischen Stil des 16. Jahrhunderts nachzuempfinden. Doch beeindruckender waren die Ex Voto Gaben: in Holz geschnitzte Körperteile, welche als Ornamente auf Säulen gesetzt waren und Pappmaché-Figuren, welche im Angesicht des Todes Maria anbeten und erlöst werden. Dass über dem Eingang noch ein ausgestopftes Krokodil schwebt, vervollständigt den bizarren volkstümlichen Eindruck.
Und trotz fortifikatorischer Anlagen und zehnminütiger Suche konnten wir auch die Planstadt Sabbioneta erzwingen und sind nun ganz froh, dass unsere Planstadt, Erlangen, angenehmer zu bewohnen ist, als der realitätsfern erdachte „ummauerte Stern“.
Expedition nach Mantua und Umgebung in Zahlen:
Von 6 angesetzten Exkursionstagen verbrachten wir 2 vollständig sitzend im Bus, so dass wir an den übrigen 4 Tagen 36 Stunden gestanden haben. Obwohl Mantua nicht sehr groß ist, sind wir geschätzte 35 Kilometer gelaufen, wovon allerdings 4 alleine im Palazzo Ducale abgeschritten werden mussten, bis wir die Räume gefunden hatten, die wir suchten. Auf 34 000 m² Fläche analysierten wir am ersten Tag „lediglich“ 10 von 500 Räumen und eine Gartenloggia. In den folgenden 2 Tagen beschrieben wir 7 Kirchenfassaden und Innenräume, 2 Künstlerhäuser, weitere 2 Palazzi und 2 Klöster. Das machte insgesamt 24 vorbereitete Referate auf 11 Referentinnen sowie Referenten und unzählige Ergänzungen von unserem Dozenten, welche in geschätzten 14 Din A 5 Seiten mit notiert wurden. Im Durchschnitt haben wir mehr als 3 Wochen für die Vorbereitung und 28min pro Vortrag gebraucht. Nach Mantua wurden im Schnitt 4 Bücher und 3 Paar Schuhe mitgenommen, pro Studierenden 2 Pflaster verbraucht und am Abend 2 Gläser Wein getrunken, wobei der Espressi-Verbrauch in der Mittagspause diese Zahlen um ein weites übertrifft. Nach einer Umfrage waren die TeilnehmerInnen am meisten von den Freskierungen des Palazzo Ducale, des Palazzo del Te und von Correggios Himmelfahrt begeistert und beeindruckt von der Organisationsfähigkeit unserer Dozenten, welche eine perfekte 1 mit Stern erhalten hat. Danke für anstrengende, aber lehrreiche Tage in Mantua und Umgebung.
Constanze Hofmann | Johanna Kätzel | Jacqueline Klusik | Gisela Ruppert
Hier finden Sie die Präsentation der Exkursion als PDF.