2008 – Madrid
Sonntag, 20.04.2008
Unseren ersten Tag verbrachten wir erwartungsgemäß im Prado, und zwar als schon zuvor angekündigte Sonderdelegation der F.A.U. Nur mit einem „Visita Oficial“ Ausweis bekamen wir Gelegenheit, die spanischen Kunstwerke länger als nur für ein „Zeitfenster“ zu betrachten und vor allem Referate zu ihnen halten zu dürfen. Ausgehend von El Greco über Ribera, Ribalta und Murillo landeten wir vor Velázquez‘ Las Meninas, aber auch uns gelang es wegen nachdrängender Gruppen nicht, das Rätsel des Bildes zu lösen, wenn es denn überhaupt gelöst werden kann. Nachmittags stand Goya auf dem Programm. Nach dem ersten Referat zu den frühen Gobelin-Entwürfen hatten wir die Möglichkeit, seine wichtigsten Werke in einer leider überfüllten Sonderausstellung zu kennenzulernen. Neben den Gemälden Porträt der Königlichen Familie von Carlos IV und Maria Luisa, Die nackte Maja und Die Erschießung der Aufständischen gab es eine Auswahl aus seinem graphischen und zeichnerischen Werk, aus den Zyklen Desastres de la Guerra und Los Caprichos, zu sehen. Mit dem düsteren Spätwerk schlossen wir den Museumsmarathon im Prado ab. Beim Abendspaziergang zum letzten Referat stießen wir auf eine Prozession, bei der wir unmittelbar das religiöse Spanien erleben durften, bevor der erste Tag am Teatro Real endete.
Montag, 21.04.2008
Schon recht früh, und daher zeitgleich mit der städtischen Straßenreinigung, trafen wir auf der von Philipp II. 1590 in Auftrag gegebenen und von Juan de Herrera, Architekten des El Escorial, entworfenen Plaza Mayor ein. Zentriert wird die Platzanlage durch das von Giambologna entworfenen Reiterstandbild Philipp III. Die ikonographische Deutung der erst 1992 in Freskotechnik angebrachten mythologischen Figuren des Madrider Malers Rubio an der Hauptfassade der Real Casa de la Panadería war recht mühsam.
Das Caixa Kulturforum – von dem Basler Architekturbüro Herzog & De Meuron entworfen und gerade erst fertiggestellt – hat uns mangels einer interessanten Ausstellung vor allem wegen seiner Treppenhäuser und der urbanistischen Einbindung in das Museumsviertel beeindruckt. Im Parque del Buen Retiro besuchten wir den Palacio del Cristal, eine Glas-Eisen-Konstruktion, anlässlich der Exposición de las Islas Filipinas 1887 errichtet. Sie beherbergte zu unserer Überraschung eine Ausstellung mit Stahlplastiken von Magdalena Abakanowicz.
Den Rest des Tages verbrachten wir im Museo de la Reina Sofia, dem weltgrößten Museum für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Dank moderner Museumstechnik (Kopfhörer) war es uns möglich, den Referaten zu Picassos Guernica, Dalis Großer Masturbator, und Werken wichtiger Vertreter der spanischen Eisenplastik trotz großen Besucheransturms ungestört zu folgen. Höchst lehrreich war das improvisierte Kurzreferat eines fachkundigen Gasthörers zum Material Eisen. Abschließend beschäftigten wir uns mit dem Oeuvre Yves Kleins und wendeten das im Referat vermittelte Wissen bei der gemeinsamen Beschreibung und Interpretation eines Gemäldes von Antoni Tàpies unmittelbar an.
Dienstag, 22.04.2008
Die Fahrt nach Toledo begann an der Estación de Atocha, eben jenem Bahnhof der Terroranschläge des 11.03.2004. Die südlich von Madrid gelegene ehemalige Hauptstadt des Westgotenreichs zählt aufgrund ihres mittelalterlichen Stadtkerns seit 1977 zum UNESCO – Weltkulturerbe. An Architektur und Bauplastik lassen sich die Spuren bzw. die wechselseitige Durchdringung und Überformung von drei großen Weltreligionen ablesen. Bis zum Abschluss der spanischen Reconquista lebten hier Juden, Christen und Muslime zusammen.
Die Kathedrale Santa María wurde als Wahrzeichen des Katholizismus errichtet und stellt ein seltenes Beispiel gotischer Kathedralarchitektur in Spanien dar. El Grecos Entkleidung Christi (1577-79), die sich in der Sakristei befindet, führte aufgrund der ausschließlich apokryphen Textgrundlage beinahe zur Exkommunizierung des Künstlers. Ein weiteres Hauptwerk des Manieristen, Das Begräbnis des Grafen von Orgaz, konnten wir in der Grabkapelle der Kirche Santo Tomé besprechen.
Der Einfluss der drei Religionen war deutlich in der Formensprache der Kirche Santa Maria la Blanca spüren, einer ehemaligen Synagoge, die nach der Vertreibung der Juden 1492 als Kirche genutzt wurde. Verwunderung lösten bei uns die Ketten an der Hauptfassade des Monasterio de San Juan de los Reyes aus, die von befreiten christlichen Sklaven stammen sollten. Das Kloster wurde zum Gedenken an den Sieg der Reyes Católicos gegen Portugal in der Schlacht von Toro 1476 errichtet. Vorbei an der dem christlichen Glauben geweihten Mezquita del Christo de la Luz aus dem Jahr 999 erreichten wir das Stadttor der Johanniter Puerta del Sol, wo das letzte Referat des Tages gehalten wurde.
Mittwoch 23.04.2008
Am Mittwoch widmeten wir uns im Prado einer Auswahl nicht-spanischer Maler, angefangen bei Fra Angelicos Verkündigung (1430-32) über Rogier van der Weydens Kreuzabnahme (1435-40) bis hin zu Dürers Adam und Eva (1507), vor denen sich eine Diskussion zur Rolle Evas als Sünderin und die gestalterische Ähnlichkeit ihrer Haare und der sich windenden Schlangen entwickelte. Das Thema Versuchung, Sünde und Vertreibung aus dem Paradies wurde auch im nächsten Referat zu Hieronymus Boschs Garten der Lüste aufgegriffen.
Neben diesen christlichen Motiven beschäftigten wir uns auch mit mythologischen und profanen Themen. Prof. Dickel brachte uns anhand einer Interpretation, die von den fünf Sinnen und ihrer hierarchischen Ordnung ausging, zwei der insgesamt fünf Fassungen der Venus mit dem Orgelspieler (1545 und 1550) von Tizian näher. Auch sein Gemälde Kaiser Karl V. nach der Schlacht bei Mühlberg (1548) wurde in einem Referat erläutert. Weiterhin setzten wir uns mit Werken von Rubens, Van Dyck, Jordaens‘ und Teniers’ auseinander, und beendeten den Museumsrundgang mit einem ausführlichen Referat über die heroischen Landschaften von Poussin und Lorrain.
Donnerstag, 24. 04. 2008
Nachdem wir den Anstieg zum El Escorial bewältigt hatten, hörten wir einführend ein Referat zur Baugeschichte. Der Außenbeschreibung folgte, begleitet von einem nicht enden wollenden, jedoch außergewöhnlichen Glockenspiel, die gemeinsame Anstrengung, die Inschriften der Fassade der Klosterkirche zu übersetzen. In ihrem Innenraum erarbeiteten wir das Marmorkruzifix Cellinis. Dabei wurde die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Drei- und Viernageltypus aufgeworfen. Unser Rundgang führte uns durch die königlichen Gemächer in die Schlachtenhalle und das Pantheon bis in die Bibliothek mit einem Deckenfresko Tibaldis (1586-93). Die hier dargestellten Septem Artes Liberales konnten wir erfolgreich anhand ihrer Attribute und der Inschriften identifizieren.
Erholt durch eine Mittagspause im gepflegten Garten des Klosters El Escorial, der auch früher dazu diente, den Erkrankten wieder Kraft zu spenden, machten wir uns zum modernen Geschäftsviertel Madrids auf. Aus der Ferne betrachteten wir die vier weit emporragenden Wolkenkratzer namhafter Architekten wie Norman Foster, die sich in dem neuesten Geschäftsviertel der Cuatro Torres Business Area befinden. Weiter gelangten wir durch die beiden Türme der 1996 erbauten Puerta de Europa zum Geschäftsviertel der 80er Jahre und schlossen das Programm zur zeitgenössischen Architektur Madrids mit einem Referat vor dem Torre Picasso (1988) ab.
Freitag, 25.04.2008
Der letzte Tag des offiziellen Teils der Madridexkursion begann mit einer Besichtigung des Campus der Madrider Universität Complutense. Gemeinsam versuchten wir die Architektur der Gebäude anhand ihrer Formensprache in die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts einzuordnen. Nach einer glücklichen, zufälligen Begegnung erklärte sich die Germanistik-Professorin Margit Raders bereit, uns durch die Innenräume der Philosophischen Fakultät zu führen und ermöglichte uns so Einblicke ganz besonderer Art. Mit ihrer Hilfe gelangten wir auch in die Räumlichkeiten des Dekans, wobei uns dieser höchst persönlich die wertvolle Bildersammlung wichtiger spanischer Impressionisten vorstellte.
Nach der Betrachtung der Fresken Goyas in der neoklassizistischen Kirche San Antonio de la Florida, die 1799 vollendet wurde und gleichzeitig als Grabstätte Goyas diente, besichtigen wir den Palacio Real. Während wir vormittags noch die spanische Gastfreundschaft genießen durften, gerieten wir nachmittags bei der Suche nach dem Ausgang aus der weitläufigen Parkanlage in Konflikt mit den Vorschriften der Palastsicherheitsaufsichtskräfte. Bevor es jedoch zur Erschießung der Aufständischen – wie es Prof. Dickel nannte – kommen konnte, nahmen wir den weiten Umweg zur Vorderseite des Königspalastes, wo das Referat zum Palacio Real mit der Beschreibung der Südfassade und der Kirche Catedral de Santa Maria de la Almudena abgeschlossen werden konnte.
Niemand hätte uns besser die Bedeutung des Zarzuela Theaters und den Inhalt des Operettenstücks La Leyenda del Beso erläutern können als Diego Alonso, ehemals Erlanger Erasmus-Student, dessen Heimatstadt Madrid ist. Mit seinem Referat gelangte der offizielle Teil der Madridexkursion an sein Ende.