2017 – Kassel
Exkursionsbericht zum Besuch der documenta 14 und der Museumslandschaft Kassel 17. bis 20. August 2017
17. August 2017
Am 17. August machten sich die Studierenden des Instituts Kunstgeschichte gemeinsam mit Prof. Dr. Hans Dickel und den GasthörerInnen des Freundeskreises des Instituts frühmorgens auf den Weg nach Kassel, um sich auf das Erlebnis documenta 14 einzulassen – die documenta ist eine internationale Überblicksausstellung der aktuellen zeitgenössischen Kunst, die die Stadt Kassel alle fünf Jahre in Aufruhr versetzt und in ein Kunst Mekka verwandelt. Das diesjährige Motto des Kurators Adam Szymczyk „Von Athen lernen“, die Vorbereitungen und Medienberichte versprachen viele umstrittene Arbeiten zur politischen und gesellschaftlichen Situation in der Welt, sie ließen Diskussionspotential und rauchende Köpfe erahnen.
Am ersten Tag wurden frei zugängliche Kunstwerke früherer und aktueller documenta-Ausstellungen im Stadtraum besichtigt und Werke der Architektur wie z.B. der Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe, die Treppenstraße oder auch die Orangerie in der Karlsaue vorgestellt. Einige der angekauften Skulpturen im öffentlichen Raum erfreuen sich bei der Kasseler Bevölkerung und den Besuchern großer Beliebtheit, so wurde die Skulptur „Man Walking to the Sky“ des Künstlers Jonathan Borofsky zum Markenzeichen der Stadt, der Region und des Fortschritts. Andere Arbeiten wie Walter de Marias „Vertikaler Erdkilometer“ 1977 oder auch Joseph Beuys „7000 Eichen“ 1982 stießen dagegen auf Grund ihrer Konzeptualität erst einmal auf Unverständnis und Ablehnung, prägen heute aber ebenfalls das Stadtbild.
Thomas Schüttes farbige Figurengruppe „Die Fremden“ auf dem Portikus des ehemaligen Roten Palais am Friedrichsplatz sowie Lois Weinbergers „Das über Pflanzen / ist eins mit ihnen realisiert“ am Kulturbahnhof verdeutlichen, dass die Themen Flucht und Migration nicht nur aktuell von Bedeutung sind, sondern auch in vorangegangen Jahren die Künstler beschäftigten. Während Thomas Schütte auf Migrationsprozesse in den 90er Jahren aufmerksam macht, zeigen Hiwa K. ´s Abwasserrohre „When we were exhaling images“ eine aktuelle Auseinandersetzung mit Migrationsbedingungen und -bewegungen auf.
Vor dem „Parthenon der Bücher“ der Künstlerin Marta Minujin, einer monumentalen Metalkonstruktion auf dem Friedrichsplatz, wird von der Exkursionsgruppe das Motto „Von Athen lernen“ und die künstlerische Reflexion von Freiheit und Demokratie diskutiert. Es bleibt die Frage, was gute Kunst ausmacht und wie Kunst es schaffen kann, einen neuen Blickwinkel auf relevante Fragestellungen und aktuelle politische Ereignisse zu geben.
Am Spätnachmittag wurden die Orangerie und die Gestaltung der Karlsaue als Parkanlage vorgestellt. Am Flussufer der Fulda begegnete man der blauen überdimensional großen Spitzhacke Claes Oldenburgs, die der amerikanische Künstler als ironischen Kommentar zur Herkules Statue 1982 auf der documenta 7 installierte.
Das Verhältnis von Natur und Kunst spielt auch in Guiseppe Penones „Idee di Pietra“, das viele der Studierenden und GasthörerInnen begeisterte, eine wesentliche Rolle.
Die „Torwache“ von Ibrahim Mahama passierend machte man sich auf zu einem gemeinsamen Ausklang des Tages in einem italienischen Restaurant direkt an der Treppenstraße.
18. August 2017
Am zweiten Tag besuchten die ExkursionsteilnehmerInnen die documenta 14 eigenständig und waren erst einmal vor die Aufgabe gestellt, Veranstaltungsorte zu priorisieren und in der großen Masse besondere Werke zu entdecken. Zur Orientierung halfen von Prof. Dickel ausgewählte Werke, Tipps von Freunden und Bekannten oder auch zahlreiche Kunstmagazine und Kunstratgeber – die documenta 14 war schließlich in aller Munde.
So schwirrten die Gruppen nach dem Frühstück in das Hessische Landesmuseum, in die documenta Halle, in das Palais Bellevue, in das Fridericianum, in die Neue Galerie und zu vielen weiteren Ausstellungsorten aus. Zudem sollte jeweils in Zweiergruppen ein Werk der documenta 14 ausgesucht und besprochen werden, um es am letzten Exkursionstag der Gruppe vorstellen und eine kontroverse Diskussion anregen zu können.
Am Spätnachmittag trafen sich die TeilnehmerInnen am Cine Star Kino, um sich den Kunstfilm „I had nowhere to go“ des bereits renommierten Künstlers Douglas Gordon anzusehen. Nach der 97-minütigen Film- und Bildprojektion ergab sich die Möglichkeit sich mit einem Professor und Studierenden der Universität Heidelberg über die bewegenden Eindrücke und die künstlerischen Methoden des Filmes auszutauschen.
Anschließend wurde die Neue Galerie mit Maria Eichhorns Installation bzw. Präsentation des Rose Valland Instituts besucht. Es erforscht und dokumentiert die Enteignung der jüdischen Bevölkerung Europas und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Die historische Bedeutung und Wertschätzung der Arbeit des Instituts war ohne Frage, vielmehr diskutierte die Gruppe lebhaft über die Präsentationsberechtigung auf der documenta, die Grenzen und Möglichkeiten von Kunstausstellungen sowie über die Aufgabe der Vermittlung auf der documenta 14.
19. August 2017
Am dritten Tag stand der Besuch der Kirche Maria Königin des Friedens, der Aufstieg zum Schloss und Bergpark Wilhelmshöhe und der Besuch der Gemäldegalerie, Alte Meister auf dem Programm. Der Bergpark Wilhelmshöhe wurde 2013 mit dem Herkules und den Wasserspielen in die Liste des UNESCO Kultur- und Naturerbes der Welt aufgenommen.
Neben der Bau- und Architekturgeschichte des Schlosses und des Bergparks Wilhelmshöhe sowie der Löwenburg referierten die Studierenden zu Sammlungswerken der Gemäldegalerie die von der niederländischen Malerei Rembrandt van Rijns, Peter Paul Rubens oder Jan Steens, über den Nürnberger Renaissance Künstler Albrecht Dürer hinzu den italienischen Künstlern Jacobo Tintoretto und Tizian reichen. Die Auswahl der Werke zeigte einen Einblick in die Porträtmalerei (Albrecht Dürer „Bildnis der Elsbeth Tucher“ 1499, Rembrandt van Rijn „Bildnis Saskia van Uylenburgh“ 1642, Tizian „Bildnis eines Feldherren“ um 1552-52) und die Stillebenmalerei (Frans Snyders „Stillleben mit Wild, Vögeln, Trauben und Gemüse“ 1613), sie behandelte sowohl biblische Themen (Rembrandt van Rijn „Jakob segnet die Söhne Josephs“ 1656, Tintoretto „Lot und seine Töchter“ 1550-1558) als auch mythologische Darstellungen (Peter Paul Rubens „Pan und Syrinx“ 1617).
Am Abend kamen alle auf Einladung der GasthörerInnen in dem thailändischen Restaurant Nakorn Thai zusammen, um sich in entspannter Atmosphäre auch persönlich abseits des „Kunstgewusels“ auszutauschen. Es war ein ganz wundervoller Abend, bei dem die GasthörerInnen von den vorangegangenen Exkursionen nach Chicago, Tokio oder auch Los Angeles erzählten und die Studierenden über ihre Interessen oder Berufswünsche und berichten konnten.
20. August 2017
Am letzten Tag wurden noch einmal alle Kräfte mobilisiert, die Blasen an den Füßen versorgt und alle Notizen geordnet, um die ausgewählten und als relevant befundenen Werke der documenta 14 vorzustellen und zu diskutieren. Hier seien nur einige davon kurz erwähnt:
- Bonita Elys Rauminstallation „Interior Decoration“ und die Fotografiereihe „Plastikus Progressus: Memento Mori“ im Erdgeschoss des Palais Bellevue werfen einen emotionalen Blick auf Kriegshandlungen und Kriegsschauplätze, sowie posttraumatische Belastungsstörungen in der Familie, die sich auf mehrere Generationen auswirken können.
- Die Londoner Gruppe, Forensic Architecture baute das Kasseler Internet-Café, in dem der Betreiber Halit Yozgat durch den NSU ermordet worden war nach. Sie untersuchten mit verschiedensten Mitteln von den Angeklagten und Zeugen genannte Aussagen, um herauszufinden, inwieweit der Verfassungsschützer Andreas Temme in den Mord verwickelt ist. Die Ergebnisse und „Gegenermittlungen“ wurden in der Neuen Neuen Galerie (Hauptpost) mit der Arbeit „The Society of Friends of Halit“ in Form einer Filmdokumentation gezeigt.
- Auch aktuelle Positionen der Malerei waren unter anderem mit Rosalind Nashashibi „In Vivian ’s Garden“ im Palais Bellevue oder mit Edi Hila „A Tent oft he Roof oft he Car“ in der Neuen Neuen Galerie vertreten.
- Die iranisch-deutsche Bildhauerin Nairy Baghramian zeigt eine künstlerisch verschlüsselte Übersetzung der Kurzgeschichte „Iron Table“ von Jane Bowles unter Verwendung unterschiedlicher Materialien und einer reduzierten Farb- und Formensprache.
- Olaf Holzapfel interessiert sich seit langem für Grenzen, Grenzräume und Trennlinien. Angelehnt an das Thema dieser Zwischenräume zeigt er auf der documenta 14 verschiedene Werke unter dem Titel „Zaun“ und kuratiert das erste Stockwerk des Palais Bellevue.
Nach einer bereichernden, aufwühlenden, interessanten, facettenreichen und auch kräftezerrenden Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst, kamen die TeilnehmerInnen am späten Sonntagabend mit vielen neuen und noch aufzuarbeitenden Eindrücken in Nürnberg und Erlangen an.
Im Namen aller Studierenden bedanken wir uns ganz herzlich bei Herrn Prof. Dr. Hans Dickel und bei Herrn Peter Mörtel sowie bei Rebekka Berg für die Organisation und Durchführung dieser vielfältigen Exkursion. Auch dem Freundeskreis des Instituts und den mitreisenden GasthörerInnen danken wir für die Unterstützung und den offenen und respektvollen Austausch!
Text: Imelda Stier
Fotoauswahl und Präsentation: Yumi Shimamune
Hier finden Sie die Präsentation der Exkursion als PDF (Stand: 17.1.2018).