Die Eröffnung der documenta 14

Das Parlament der Körper
Kassel, 27.–29. April 2017

Wie fühlt man sich als Problem?

Die Öffentlichen Programme der documenta 14 – das Parlament der Körper – sind entstanden aus den Erfahrungen des sogenannten „langen Sommers der Migration“ in Europa, der nicht nur ein Versagen der modernen repräsentativen demokratischen Institutionen sondern auch ein Versagen der Ethik der Gastfreundschaft offenbarte. Das Parlament lag in Trümmern. Das wahre Parlament jedoch kam auf der Straße zusammen – als Versammlung unrepräsentierter und undokumentierter Körper, die sich Sparmaßnahmen und der fremdenfeindlichen Politik widersetzten.

Die Welt durchläuft einen Prozess der „Gegenreform“. Diese hat zum Ziel, die weiße männliche Vorherrschaft wiederherzustellen und demokratische Errungenschaften rückgängig zu machen, für die die Bewegungen von Arbeiter_innen, die antikolonialen, indigenen, ökologischen, feministischen, sexuellen und anti-psychiatrischen Bewegungen in den vergangenen zwei Jahrhunderten gekämpft haben. In diesem Kontext wird das Parlament der Körper zu einer Plattform des Aktivismus, der Allianzen und der Kooperation.

Nach acht Monaten mit Aktivitäten in Athen tagt das Parlament der Körper erstmals in Kassel und ruft zur Bildung einer antifaschistischen, transfeministischen und antirassistischen Koalition auf. Das Parlament der Körper richtet W. E. B. Du Bois’ Frage: „Wie fühlt man sich als Problem?“ als mögliche Interpellation an die „99 Prozent“ der Weltbevölkerung – unter Berücksichtigung des Prozesses, den der afrikanische Philosoph Achille Mbembé als das „Schwarzwerden der Welt“ beschrieben hat. Während das moderne koloniale und patriarchale Regime die „Arbeiter_in“, die „Hausfrau“, den „Schwarzen“, das „Indigene“ und den „Homosexuellen“ erfand, bringen heutige Regierungsmethoden neue Formen der Unterwerfung hervor: von kriminalisierten Muslim_innen bis zu Migrant_innen ohne Papiere, von prekär beschäftigten Arbeiter_innen bis zu Obdachlosen, von Menschen mit Behinderung und den Kranken als Konsument_innen der Industrie der Normalisierung zu sexualisierten Arbeiter_innen, zu Transsexuellen ohne Papiere.

Dieses performative Zusammenkommen etabliert keine Hierarchien zwischen sich radikal unterscheidendem Wissen, Sprachen und Praktiken, zwischen Aktivismus und Performance, zwischen Theorie und Poesie, zwischen Kunst und Politik: Kollektiv versuchen wir uns an der Herstellung eines öffentlichen Raums der Sichtbarkeit und der Artikulation. Hier versammeln sich Menschen, die für den heutigen hegemonialen Diskurs zum „Problem“ geworden sind. Wir haben keine gemeinsamen Identitäten, sondern wir sind mehr durch die verschiedenen Formen der Unterdrückung, Vertreibung und Enteignung miteinander verbunden, als durch unsere Hautfarben, Geschlechter, Gender oder Sexualitäten. Das Parlament der Körper besteht nicht aus Identitäten, sondern aus kritischen Prozessen der Ent-Identifikation.

(Paul B. Preciado)

PROGRAMM

Donnerstag, 27. April 2017

FRIDERICIANUM

15 Uhr  Einführung von Adam Szymczyk und Paul B. Preciado
15:15 Uhr  Boris Buden, Fascism: A Crime in Search of Perpetrators
16 Uhr  iQhiya, Fresh off the Boat
16:45 Uhr  Ulrich Schneider, Facing History and Ourselves: Preserving Memory – Acting Today – Change for the Future
17:30 Uhr  Chto Delat, Here Me Burning
18 Uhr  Evelyn Taocheng Wang, Idle Chatter 2nd – Holzwege

19 Uhr  PAUSE

20 Uhr  Dimitris Kousouris, Old and New Fascisms and Antifascisms
20:45 Uhr  Lerato Shadi, Dinonyane tse Pedi
21:15 Uhr  Die Apatride-Gesellschaft des politischen Anderen (Max Jorge Hinderer Cruz, Nelli Kambouri, Margarita Tsomou), Integrated World Capitalism and the Ithagenia Condition: On Indigenous Knowledge in the European Crisis, Migration and Borders, the Coloniality of Contemporary Capitalism, and Self-Determined Otherness
22 Uhr  Zoe Mavroudi, The Witch Hunts of Athens: An Experiment for a New Europe
22:45 Uhr  Raúl de Nieves, La Mosca/The Fly

23:15 Uhr  PAUSE

00:30 Uhr  Adespotes Skiles, The Waltz of the Dirty Streets
1:30 Uhr LOTIC

(Ungeplante Interventionen von Mattin)

Freitag, 28. April 2017

FRIDERICIANUM

10–15 Uhr  Georgia Sagri, Attempt. Come
15 Uhr  Franco “Bifo” Berardi, Questions About the Double-Headed Monster That Is Destroying Life on the Planet, and How to Deal with It
15:45 Uhr  Grada Kilomba, Illusions
16:15 Uhr  Tatiana Roque, Back to the Closet! A Backlash Against Emerging Political Subjectivities
17 Uhr  Zülfukar Çetin, Bodily Autonomy of Refuged Sex Workers and the Moralization of the Sex of the Other
17:45 Uhr  María Galindo, Manifesto and How to Deal with the Feminist Insurrection

19 Uhr  PAUSE

20–22:30 Uhr ALLIANCES BETWEEN MINOR INSTITUTIONS
Stavros Stavrides, Emergent Common Spaces: Reinventing the Politics of Sharing
Anna Dević/WHW, From Partisan Exhibitions to Exhibitions of Partisanship
Gigi Argyropoulou, (Im)potential Resistances
Emanuele Braga, Beyond Work and Private Property, the Macao Experience as an Institution of the Commons
Maria Mitsopoulou und Mariza Avgeri, Clercking
Vasyl Cherepanyn, Thinking Under Attack: On the International Principles of Contemporary Antifascism
Olga Lafazani, Subverting the Borders Between Host and Hosted. The Everyday Life in City Plaza Project
Chto Delat (Dmitry Vilensky), To be a Dissident: Screening and Questioning

22:30 Uhr   PAUSE

23:30 Uhr  Vaginal Davis, No One Leaves Delila
00:15 Uhr  Boris Baltschun and Serge Baghdassarians, Backing Track
00:45 Uhr  The Boy

(Ungeplante Interventionen von Mattin)

Samstag, 29. April 2017

FRIDERICIANUM

12 Uhr  Filmvorführung, Aris Chatzistefanou, Fascism Inc, 2015, Griechenland, 73 min.
Griechisch mit englischen und deutschen Untertiteln

16–18:30 Uhr ALLIANCES BETWEEN ANTIFASCIST MOVEMENTS FROM ATHENS AND KASSEL
Aris Chatzistefanou
Ayşe Güleç
Dimitris Kousouris
Thanassis Kampagiannis
Kassel postcolonial (Joshua Kwesi Aikins und Evelyn Wangui)
Forensic Architecture (Stefanos Lividis)
Magda Fyssa
Yannis Nifakos
Die Gesellschaft der Freunde von Halit und Initiative 6. April (Lilimor Kuht, Serdar Kazak, und Fritz Laszlo Weber)
Eleftheria Tompatzoglou
Natascha Sadr Haghighian
Niovi Zarampouka-Chatzimanou

19 Uhr  PAUSE

20 Uhr  Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, An Alignment of Contested Bodies and Spaces: On Alterity, Asynchrony, and Heterogeneity
20:45 Uhr  Alfredo Jaar, It is Difficult
21:45 Uhr  Cecilia Vicuña, Breaking the Heart of Creation
22:30 Uhr  Schwabinggrad Ballett & Arrivati, Beyond Welcome

(Ungeplante Interventionen von Mattin)

Träger der documenta 14 ist die documenta und Museum Fridericianum gGmbH, die von der Stadt Kassel und dem Land Hessen als Gesellschafter finanziert und zudem für die Durchführung der documenta 14 in Athen und Kassel von der Kulturstiftung des Bundes und dem Auswärtigen Amt finanziell unterstützt wird.

www.documenta14.de